Ein sanfter Einstieg in eine neue Kultur

Wenn Geflüchtete nach Heidelberg kommen, erleben viele von ihnen einen Kulturschock. Vor allem Kinder und Jugendliche können dadurch in Krisen geraten. Negassi Negusse ist Familienhelfer bei der Jugendhilfeeinrichtung Luise-Scheppler-Heim. Sie sagt, dass es deshalb Begleiter für die junge Menschen brauche, die mehrere Kulturen kennen. Zusammen mit Michael Adrian hat er deshalb das Pilotprojekt „Jugend­LenkRat“ ins Leben ge­rufen, das sich an Migran­ten richtet, die gerne mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Denn: ,,Wir wis­sen, dass Sprach- und Kul­turkundige einen besseren Zugang zu Migranten-Fa­milien haben und vermit­teln können“, so Adrian.

Negusse stammt ursprünglich aus dem afrikanischen Eritrea und war in Deutschland lange als Großhandelskaufmann tätig. Schon 1983 kam er als Flüchtling nach Deutschland. Seit der Flüchtlingskrise 2015 half er in Patrick-Henry-Village (PHV) Flüchtlin­gen und konnte häufig auch Missver­ständnisse aufklären. ,,In meiner Heimat ist es unhöflich, anderen Menschen direkt in die Augen zu sehen. Wenn man in Deutschland keinen Augenkontakt hält, verbindet man dies mit Lügen oder Un­ehrlichkeit.“ Ein anderes Beispiel: Ein afrikanischer Vater schlug seinen Sohn zur Strafe leicht mit einem Bambusstock. Als das Kind in der Schule davon erzählte, schaltete die Lehrerin das Jugendamt ein. Der Vater war entsetzt: ,,Ich liebe meine Kinder.“ Negusse war es in dem Fall wich­tig, ihm die Verhaltensregeln in Deutsch­land zu erklären, ohne ihn zu demütigen. 

Sulaiman Durrani gehört zu den ers­ten Teilnehmern des neuen Kurses. Er floh vor fast zehn Jahren aus Afghanistan nach Deutschland. In seiner Heimat hatte er ein Bachelor-Studium in Pflegewissenschaf­ten absolviert. In der Flüchtlingskrise war er als Alltagsbegleiter im PHV tätig. Dort hat er seine Gabe für den Umgang mit Jugendlichen entdeckt: „Diese Kinder haben Schreckliches erlebt“, sagt er. Gerade in der Sicherheit der neuen Heimat würden tiefe seelische Traumata akut. Dann bräuchten die Jugendlichen einen Menschen, dem sie vertrauen.“

Auch Mohammad Hassan Nazeri stammt aus Afghanistan. Im Sommer floh er überstürzt, ohne Geld oder Papiere. Der studierte Regisseur nimmt nun ebenfalls an dem Projekt teil: „Im Krieg werden Minderheiten, Kinder und Frauen am schwersten verletzt. Diesen Gruppen möchte ich jetzt helfen“, erklärt er seine Motivation, an der Ausbildung teilzunehmen.

Auch Zeina Astour aus Syrien möchte an der Ausbildung teilnehmen. Die studierte Agraringenieurin hat in ihrer Heimat ein zweites Studium zur Di­plom-Übersetzerin absol­viert. Aber ihre Qualifika­tionen werden in Deutsch­land nicht anerkannt. Die­ses Dilemma war einer der Auslöser für das Pilotpro­jekt. Negusse erklärt: ,,Wir wollen drei Gruppen hel­fen: Emigranten-Familien mit ihren Kindern, Emigranten, die Arbeit brau­chen und dem Arbeits­markt, denn es fehlen Fachkräfte.“

Annette Schneider, Projektleiterin am Luise-Scheppler-Heim betont: ,,Mit dem Projekt können wir Familien schneller und wirkungs­voller helfen und Fach­kräfte ausbilden.“

Die zweijährige Qualifizierung zum staatlich anerkannten Jugend- und Heimerzieher umfasst Theorie- sowie Praxismodule. Eine Finanzierung des Lebensunterhalts der Teilnehmer durch das Jobcenter oder die Agentur für Arbeit ist grundsätzlich möglich. Das Projekt wird vom Sozialministerium Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds finanziell unterstützt.

Von Marion Gottlob